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Smartphones am Kinderwagen

Kinderwagenschieben und gleichzeitig Nachrichten checken oder im Netz surfen? Digitales Multitasking im Alltag junger Familien. Geht das klar?

Hat jemand auf Whatsapp eine Nachricht hinterlassen? Was ist die Uhrzeit, wann war noch mal der Arzttermin, bekomme ich noch eine schnelle Kochidee für heute? Dann ein kurzer Blick in den Kinderwagen. Was gibt es Neues im Nachbarschaftschat und wie wird das Wetter am Wochenende? Smartphones sind in unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Aber welchen Einfluss haben sie, wenn solche Szenen dauernd stattfinden? Statistisch gesehen benutzen junge Leute ihr Smartphone 85 Mal am Tag und verbringen 5 Stunden damit.

Unterbrechungen durch Technologie wie der laufende Blick aufs Handy wird als Technoference bezeichnet. Wirkt sich Technoference auf die Eltern-Kind-Interaktion aus?

Bindungsfähigkeit

Zweige

Gerade die ersten Jahre im Leben eines Kindes sind extrem wichtig für die Bindung zu den Eltern – und auch für die Bindungsfähigkeit im späteren Leben. Wenn Mama oder Papa ständig mit dem Handy hantieren, kann das gravierende Folgen haben.

Agnes von Wyl forscht an der Zürcher Hochschule Angewandte Psychologie (ZHAW) und hat an der Studie mit dem Titel “Smart Start” mitgewirkt. Die wichtigste Frage der Studie ist, ob die Smartphone-Nutzung der Eltern einen Einfluss auf die Eltern-Kind-Interaktion und somit auf die Entwicklung des Kindes hat – insbesondere auf die Bindung.

Wenn es gut läuft, macht ein Kind in den ersten Lebenswochen die Erfahrung, dass seine Bedürfnisse zuverlässig durch die Mutter oder den Vater befriedigt werden. Im günstigsten Fall lernt es, sich auf die Eltern verlassen zu können. So entsteht eine tiefe Beziehung zwischen Mutter, Vater und Kind und: Bindung. Diese Erfahrungen sind die ersten Bausteine für ein Vertrauen in diese Welt. Hier entstehen die Bindungsfähigkeit des Menschen und sein Urvertrauen. Fähigkeiten, die das ganze Leben bestimmen. Im Säuglingsalter ist das Rund-um-die –Uhr –Dasein der Eltern also noch wichtig, um eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein und dem neuen Erdenbürger gerecht zu werden. Man muss also gut zwischen Selbstaufgabe und Pflichtbewusstsein unterscheiden.

Bindung und Feinfühligkeit

Im Säuglingsalter entsteht das Bindungsmuster eines Menschen. Es besteht aus Erfahrungen des kleinen Erdenbürgers, die er im Zusammenhang mit seinen wichtigsten Pflegepersonen gemacht hat. Jedes individuelle Bindungsmuster wird von ganz individuellen Gefühlen, Erwartungen und Verhaltensstrategien gespeist. Kinder, deren Eltern sich feinfühlig kümmern, zeigen in der Regel ein sicheres Bindungsverhalten. Das Konzept der Feinfühligkeit aus den 1970er Jahren geht auf die Forscherin Mary Ainthworth zurück. Feinfühlig ist nach Ainthworth, wer kindliche Signale mit größter Aufmerksamkeit wahrnimmt. Heute würde man das wahrscheinlich Achtsamkeit nennen. Dann müssen die Signale auch noch richtig gedeutet werden. Was bedeutet beispielsweise eine Unmutsäußerung des Sprösslings? Ist es Hunger, Durst, Langeweile oder Überreizung? Feinfühligkeit bedeutet auch, angemessen auf Signale des Babys zu reagieren, beispielsweise zu füttern oder zu beruhigen, körperliche Nähe zu geben. Und nicht zuletzt bedeutet Feinfühligkeit, dass die Mutter oder der Vater sofort reagieren, da die tolerable Frustrationszeit für Säuglinge sehr kurz ist.

Kinder mit sicherer Bindung suchen immer wieder den Kontakt zu ihrer Bezugsperson, lächeln, glucksen oder geben Laute von sich. Hat die Mutter oder der Vater aber einen teilnahmslosen Blick, vielleicht weil sie oder er psychisch krank ist oder das Kind ignoriert oder weil sie dauernd aufs Handy schaut, dann vermeiden diese Kindern schon im Alter von vier Monaten den Blick. Sie haben gelernt, dass es ist unangenehm ist, wenn ein Elternteil nicht zurückschaut, also schauen sie lieber nicht hin. Schon ganz kleine Kinder resignieren dann. Vom Bildschirm absorbierte Eltern können die Signale ihrer Kinder nicht mehr wahrnehmen – wie sollte das auch gehen – richtig interpretieren und ihre Bedürfnisse angemessen interpretieren, alles wichtige Merkmale für eine starke und nachhaltige Bindung. Eltern am Bildschirm hätten dann auf Kinder die Wirkung wie depressive Bezugspersonen meint Forscherin von Wyl. Bei häufiger innerer Abwesenheit der Mutter gerate das Baby in Stress. Mit Feinfühligkeit hat das nichts mehr zu tun.

Der Blickkontakt zwischen Baby und Eltern ist grundlegend, um ein Urvertrauen aufzubauen. Er zeigt auch, „du bist es wert, dass ich dich beachte“, prägt also unter anderem das Selbstwertgefühl eines Menschen. «Kinder orientieren sich am allerliebsten an Gesichtern. Sie lieben es, Mimiken zu studieren und Beziehungen zu Menschen herzustellen.» meint von Wyl. Die meisten Eltern machen es intuitiv richtig und lieben den intensiven Blickkontakt und „Babytalk“ mit ihrem Baby.

Vom Wesentlichen abgelenkt

Was sind die Folgen von zu häufiger Ablenkung der Eltern vom Wesentlichen durch ständige Handynutzung im Zusammensein mit Babys oder Kindern? Konzentrationsstörungen, Empathiemangel oder Defizite bei der Aufmerksamkeitsentwicklung, ebenso Störungen der Interaktion zwischen Eltern und Kindern werden von Wissenschaftlern genannt.

Wenn Kinder dann älter werden, beginnen sie sich gegen die digitale Konkurrenz zu wehren: Sie nörgeln, jammern, schreien. Reagieren Eltern dann mit Unmut, kann sich die Eskalationsspirale steigern. Das Kind fühlt sich nicht verstanden und brüllt noch lauter, frei nach der Devise „viel hilft viel“.

Was könnten also Eltern außerdem ungewollt trainieren, wenn sie vertieft in ihr Handy den Kinderwagen schieben? Das Kind lernt, nur durch eigenes auffälliges Verhalten oder laut sein bekommt man Aufmerksamkeit von anderen. Es könnte auch lernen, dass ins Handy zu schauen spannender ist als sich mit Menschen zu beschäftigen. Der schnelle Blick auf das Handy unterbricht die Interaktion zwischen Eltern und Kind. Eltern sind sich häufig nicht bewusst darüber, dass sich ihr Blick einfriert. Das wiederum beunruhigt und irritiert das Kind in hohem Maß. Eltern wirken dann weniger berechenbar für das Kind und unnahbar.

Gleichzeitig hat diese Art von Handynutzung Modellcharakter für Kinder und ihre eigene Mediennutzung.  Schnell werden Kinder dieses Gerät auch haben wollen, dass die Aufmerksamkeit der Eltern so sehr fesselt, dass sie alles um sich herum vergessen können.

Eltern könnten dann wiederum lernen, dass das Handy ein praktischer Babysitter ist. Außerdem wurde in Studien festgestellt, dass sich Eltern mehr mit ihrem Handy beschäftigen, wenn Kinder anstrengend sind. Das sieht nach einem Teufelskreis aus.

Auf der anderen Seite

Der Gebrauch digitaler Medien hat aber auch positive Seiten. Er ermöglicht Müttern und Vätern in der Zeit nach der Geburt, in der Eltern häufig an ihre Grenzen kommen und die stark durch die Versorgung des Kindes geprägt ist und in der sich Eltern häufig sozial isoliert fühlen, sich auszutauschen oder Rat einzuholen. Über das Smartphone in Verbindung zu sein, kann ein wichtiger Weg sein, eine emotionale Bindung zu Freunden aufrechtzuerhalten.

Und nun?

Was kann man jungen Eltern dann zum Smartphonegebrauch raten? Dazu meint Forscherin von Wyl, dass es sicher sehr helfe, wenn sich junge Eltern schon vor der Geburt Gedanken über ihre Smartphone-Nutzung machen, obwohl der Alltag sie nachher wieder einholt. Empfehlenswert sei zudem – dies gelte aber auch wieder nicht nur für junge Eltern – keine oder wenige Push-Nachrichten einzurichten, sich feste Zeiten ohne Smartphone zu gönnen und abends und bei den Essenszeiten das Gerät einfach mal ruhen lassen.

Wie immer macht wahrscheinlich die Dosis das Gift. Das gilt es mit Feinfühligkeit zu beobachten.

Die erste Zeit zu Dritt ist bei sehr vielen jungen Eltern nicht immer einfach. Wenn Sie Hilfe brauchen, kontaktieren Sie mich gerne!

Smartphones am Kinderwagen | Praxis für Familiencoaching ›› Dipl.-Psych. Cornelia Kroes